KUNSTSCHUTZ IM KRIEGE
BERICHTE
ÜBER
DEN ZUSTAND DER KUNSTDENKMÄLER
AUF
DEN VERSCHIEDENEN KRIEGSSCHAUPLÄTZEN UND ÜBER DIE
DEUTSCHEN
UND ÖSTERREICHISCHEN MASSNAHMEN ZU IHRER
IN
VERBINDUNG MIT
GERHARD
BERSU - HEINZ BRAUNE - PAUL BUBERL
THEODOR
DEMMLER - RICHARD DETHLEFSEN
HANS DRAGENDORFF - MAX DVORAK •
OTTO VON FALKE
ANTON
GNIRS • OTTO GRAUTOFF • HELMUTH GRISEBACH
WALTER
MANNOWSKY - FORTUNAT VON SCHUBERT-SOLDERN
FRIEDRICH
SARRE • HANS TIETZE • FRIEDRICH TRENDELENBURG
PAUL
WEBER - THEODOR WIEGAND
FRANZ
VON WIESER
HERAUSGEGEBEN
VON
ZWEITER
BAND: DIE KRIEGSSCHAUPLÄTZE
IN
ITALIEN, IM OSTEN UND SÜDOSTEN
MIT
224 ABBILDUNGEN
VERLAG
VON E.A.SEEMANN IN LEIPZIG • 1919
S. 155
XIII.
Archäologische und kunstwissenschaftliche Arbeit
während des Weltkrieges in Mazedonien
Von Hans Dragendorff
In dem besetzten Gebiet Mazedoniens lagen
die Verhältnisse insofern anders wie in Belgien, Frankreich, Rußland, als es sich
hier nicht um erobertes feindliches Gebiet, sondern nach bulgarischer
Auffassung um befreites Freundesland handelte, in dem gleich nach der Besetzung
eine bulgarische Zivilverwaltung eingerichtet wurde. In deren
Tätigkeitsbereich, nicht in den der deutschen Heeresleitung, mußte sinngemäß auch der Denkmalschutz fallen. Inwieweit seitens der bulgarischen Zivilbehörden ein systematischer Schutz der Denkmäler versucht worden ist, kann hier nicht klargelegt werden. Im allgemeinen kann festgestellt werden, daß der in Betracht kommende Teil des Landes überhaupt äußerst arm ist an größeren Kunstdenkmälern, wenn man von den mittelalterlichen Kirchen absieht. Unter diesen ragen die zahlreichen byzantinischen Klosterkirchen hervor, die meist bei ihrer Lage abseits vom Wege, die sie schon die Jahrhunderte beständiger innerer Kämpfe und Unruhen hat überdauern lassen, auch jetzt verhältnismäßig wenig gefährdet
waren. Gefährdet waren sie zum Teil durch ihr Alter und den durch Mangel an
Pflege hervorgerufenen baulichen Zustand, nicht durch den Krieg mit seinen
Begleiterscheinungen.
Daß an den wenigen größeren Städten des Landes, die naturgemäß sehr stark militärisch in Anspruch genommen waren, die Kriegszeit nicht spurlos vorübergegangen ist, muß leider zugegeben werden.
Dabei ist freilich in Betracht zu ziehen, daß das Land in kurzer Zeit zweimal
seinen Herrn gewechselt hat und wir nicht zu entscheiden vermögen, was auf das
Schuldkonto des Balkankrieges, was auf das des Weltkrieges zu setzen ist. Das
gilt namentlich von den türkischen Vierteln der Städte,
Abb. Reste eines Kuppelbaues
bei Philippi
156
die mit dem Aufhören der türkischen
Herrschaft rasch einer gewissen Verwahrlosung anheimgefallen sind. In Uesküb
befanden sich mehrere der Moscheen 1917 in recht üblem Erhaltungszustand,
trotzdem schon 1916 von deutscher sachverständiger Seite durch das Oberkommando
Mackensen versucht war, die bulgarischen Behörden auf die Kostbarkeit der
türkischen Denkmäler Ueskübs und auf die Notwendigkeit ihres Schutzes
aufmerksam zu machen. Es sind daraufhin damals zwei der größten Moscheen
wenigstens zeitweilig von Munition und Einquartierung gesäubert worden.
Hindernd traten dem Denkmalsschutz in diesen Gegenden auch die starken
nationalen Gegensätze in den Weg, die bei dem einen Stamme das Verständnis für
die Hinterlassenschaft und die Kulturwerte des anderen schwer aufkommen lassen.
Wie die türkischen, so müssen auch die Reste griechischen Altertums hier und dort
unter der nationalen Abneigung der Slawen gegen die heutigen Griechen leiden.
Bedauerlich ist die Verwahrlosung und
teilweise Verwüstung des türkischen Friedhofes von Uesküb, der in seiner
riesigen, in Jahrhunderten gewonnenen Ausdehnung und seiner herben
Gleichförmigkeit auf dem kahlen Hügelrücken vor der Stadt einen eigenartig
stimmungsvollen Reiz hatte. Hier hat offenbar schon gleich nach Aufhören der
türkischen Herrschaft eine systematische Ausplünderung und auch mutwillige
Zerstörung begonnen, die sich aber auch 1917 noch fortsetzte. Zahllose
Grabsteine sind umgeworfen, zerschlagen und fortgeschleppt worden, und in der
Stadt Uesküb begegnen dem aufmerksamen Wanderer auf Schritt und Tritt die
türkischen Marmorstelen als Pflastersteine, Türschwellen u. a. m. Im Jahre 1917
ist leider auch der schöne spätmittelalterliche Kurschumli-Chan in Uesküb, der Bleihof, ein Fondaco, der wohl noch in das 14. Jahrhundert zurückgeht, stark
verunstaltet worden, als er von den Bulgaren als Proviantmagazin benutzt wurde.
Nicht nur wurden die Bäume an seinem Brunnen gefällt und dem Hof damit ein Teil
seines malerischen Reizes genommen, sondern es wurden u. a. auch die
Bogentüren, die in die einzelnen Unterkunftsräume führten, bis auf kleine Türen zugemauert, ohne daß seitens der Zivilverwaltung dagegen etwas getan wäre.
Glücklicherweise war kurz vorher deutscherseits das Bauwerk noch im
ursprünglichen Zustand durch ein Mitglied der Mazedonischen landeskundlichen
Kommission, Herrn Dr. Krischen, genau untersucht und aufgenommen worden.
Die Berufung dieser wissenschaftlichen
Kommission wurde im Frühjahr 1917 seitens des Oberkommandos von Below angeregt
und der Plan dann unter dem Oberkommando Scholtz durchgeführt. Es galt der
Wissenschaft Gelegenheit zu geben, die günstigen Verhältnisse, die die
157
Abb. Reste der Basilika bei
Palikara-Stobi
Besetzung und die durch militärischen
Schutz gewährleistete Sicherheit in diesem noch so wenig erforschten Lande
boten, auszunützen für eine genauere Kenntnis des Landes, seiner Natur, der
klimatischen, geologischen, geographischen, wirtschaftlichen Verhältnisse,
seiner Tier- und Pflanzenwelt wie seiner Denkmäler. Es kam so eine Vereinigung deutscher
und bulgarischer Gelehrter zustande, die der Leitung des Inspekteurs der
Et.-Inspektion n. Generalleutnant Freiherrn Dr. von Krane, unterstellt wurde.
Die Geschäftsführung übernahm Gen.-Oberarzt Prof. Dr. Brauer, beratender
Kliniker bei der n. Armee, nach seiner Versetzung Oberstabsarzt Prof. Dr.
Hübener, beratender Hygieniker an gleicher Stelle. Die erforderlichen
Geldmittel wurden durch eine seitens des preußischen Kultusministers erwirkte
beträchtliche Zuwendung aus dem Dispositionsfonds des Kaisers, Beiträge
deutscher amtlicher Behörden und Institute und einzelner privater Schenkgeber
zusammengebracht. Durch die Mitglieder dieser Kommission ist dank der
Förderung, die sie seitens der militärischen Stellen, namentlich auch durch die
Militärärzte und Vermessungsabteilungen erfuhren, in kurzer Zeit ein großes,
vielseitiges Material gesammelt und der Wissenschaft zugeführt worden. Als
Kunsthistoriker trat der Kommission der Geh. Rat Paul Clemen bei, der im Herbst
1917 und im Frühjahr 1918 auf Veranlassung der Obersten Heeresleitung den
Balkan bereiste mit dem Auftrag, die Interessen der Denkmalpflege an den
Baudenkmälern dieser Gebiete wahrzunehmen, während der Unterzeichnete seitens
des preußischen Kultusministeriums, in dem zunächst Geh. Oberreg.-Rat Richter,
dann Geh. Reg,-Rat Krueß die Kommission vertrat, als Archäologe herangezogen
wurde. Als Architekt wurde uns Dr. Fritz Krischen beigegeben. Im weiteren
Verlauf der Arbeit traten noch der Architekt Hans Schmidt-Annaberg, Ltnt. d. L.
bei einer Straßenbaukompagnie, und Dr. Wilhelm Weigand, Ltnt. d. Res. bei einer
bayerischen Funkerabteilung hinzu. Als Photograph wurde uns der bewährte
Photograph des Leipziger Ägyptol. Museums, Koch, zugeteilt. Wenn mir die
Aufgabe zugefallen ist, hier über die Tätigkeit dieser Sektion der
landeskundlichen Kommission zu berichten, so
158
stütze ich mich dabei auf das mir von den
genannten Herren zur Verfügung gestellte Material. Der eingehenden
Veröffentlichung des gesammelten wissenschaftlichen Materials, die im Einverständnis
mit dem preußischen Kultusministerium geplant ist, soll durch diesen kurzen
Bericht nicht vorgegriffen werden. Auch unsere kunstwissenschaftliche Sektion
ist allen beteiligten militärischen Stellen, die ihre wissenschaftliche Arbeit
in weitestgehendem Maße gefördert haben, zu lebhaftestem Dank verpflichtet.
Ihnen einzeln zu danken wird anderwärts Gelegenheit sein. Ganz besonders
gebührt dieser Dank dem Herrn Oberkommandierenden, General von Scholtz, und dem
Herrn Etappeninspekteur, als dem Vorsitzenden der Kommission, für das
verständnisvolle Eingehen, das gerade auch unserer kunstwissenschaftlichen
Arbeit zuteil geworden ist und ihr teilweise erst die Wege geöffnet hat. Ihnen
und ihrem mehrfach ganz persönlichen Eingreifen verdanken wir es, wenn wir
trotz schwieriger äußerer Verhältnisse in verhältnismäßig kurzer Zeit gute
wissenschaftliche Ergebnisse erzielen und manches Wertvolle retten oder
wenigstens der Wissenschaft erhalten konnten. Daneben aber muß mit gebührendem
Dank die besondere Förderung hervorgehoben werden, die die Tätigkeit der
deutschen Gelehrten durch das Entgegenkommen der militärischen, zivilen und
kirchlichen bulgarischen Behörden fand, das namentlich den
kunstwissenschaftlichen Arbeiten zugute kam. Der kunstsinnige König Ferdinand
von Bulgarien schenkte diesen Untersuchungen sein persönliches Interesse und
ließ ihnen weitgehende Unterstützung zuteil werden.
Betont werden muß zu einer gerechten Würdigung des Erreichten nochmals, daß unsere Aufgabe wissenschaftliche Forschung war und daß wir Denkmalsschutz nur gelegentlich, gleichsam beiläufig hier und da einmal ausüben konnten, indem wir uns angelegen sein ließen, verstreute Denkmäler, Inschriften, Skulpturen zu verzeichnen, für ihre Schonung einzutreten, aufklärend über den Wert der Denkmäler zu wirken und dadurch ein und das andere gefährdete Stück zu retten. Der Gedanke, verstreute bewegliche Altertümer nach Möglichkeit an ein paar Orten, wie beispielsweise in Uesküb und Prilep, zusammenzubringen und in kleinen Lokalmuseen zu bergen, die ihrerseits dann auch in weiteren Kreisen der Bevölkerung das im Gegensatz etwa zu Griechenland noch fast ganz schlummernde Interesse an den Resten des Altertums wecken konnten, - dieser Gedanke hat leider nicht mehr ausgeführt werden können.
Das mittlere und nördliche Mazedonien, das
alte Gebiet der
Abb. Mosaik in der
Begräbniskirche in Stobi
159
Paeonen, Pelegonen und Dardaner, war ein dem
Archäologen bisher fast völlig unbekanntes Gebiet. Die archäologische Arbeit
hatte sich fast ganz auf das vom Meere aus leichter zugängliche südliche, im
antiken Sinne eigentliche Mazedonien beschränkt, wo zudem Städte, wie Saloniki
und Monastir, Ruinenplätze wie Philippi und Pella ganz andere Anziehungspunkte
bildeten. Von Süden her war Heuzey seiner Zeit ins Land gereist (Heuzey et
Daumet, Mission archeologique de Macedoine, Paris 1876) und dabei bis in den
südlichsten Teil des uns hier interessierenden Gebietes vorgedrungen, wo am
Zusammenfluß von Cerna und Wardar kurz zuvor Hahn die Ruinen des antiken Stobi
festgestellt hatte, der vom Adriatischen Meere aus sich seinen Weg durch
Albanien nach Ochrida gebahnt hatte und von dort aus dann nach Stobi, Prilep
und ins Wardargebiet gedrungen war (Hahn, Denkschrift der Wiener Akademie XI
1861, XV 1867, XVI 1869). Hahns archäologische Ausbeute beschränkte sich neben
topographischer Erkenntnis fast ganz auf Inschriften und unbedeutende
Skulpturen römischer Zeit.
Aus den bisherigen Arbeiten konnte man bereits entnehmen, daß
größere Reste des Altertums, nennenswerte Ruinen aus mazedonischer und
römischer Zeit, in dem uns zugänglichen Gebiet kaum anzutreffen seien. Diese
Annahme hat sich bei näherer Bereisung des Landes bestätigt. Größere
Ausgrabungen verboten sich bei den bestehenden Verhältnissen, auch mit
Rücksicht auf die bulgarischen Behörden, für uns von selbst. Es konnte sich nur
darum handeln, aus den verstreuten, zufällig zutage liegenden oder zutage tretenden
Resten des Altertums ein Bild der archäologischen Natur des Landes zu gewinnen.
Zwei Hauptaufgaben stellten sich von vornherein von selbst: es galt nach
prähistorischen, d. h. vormazedonischen Resten zu suchen und so in etwas dazu
beizutragen, die große Lücke zu füllen, die einstweilen gerade in diesem
Striche zwischen der Gegend von Saloniki und der Donau noch klafft, während
sowohl Bulgarien, dank der energischen Arbeit des Nationalmuseums in Sofia, und
Bosnien und Herzegowina dank der Arbeit der Österreicher bereits ein reiches
Abb. Kapitell aus der
Stadt-Basilika in Stobi
160
Abb. Fassade der Sofienkirche
zu Ochrida, aufgenommen von H. Schmidt-Annaberg
prähistorisches Material geliefert haben.
Eine zweite Aufgabe mußte sein, die römische Provinzialkultur zum Vergleiche
mit der kaiserzeitlichen Kultur anderer Provinzen kennenzulernen.
Da in der Gegend nördlich von Monastir im Gegensatz zu dem Küstengebiet, Thrazien und Bulgarien die Tumuli fehlen, auch Wallburgen bisher nicht festgestellt zu sein scheinen, fehlen überhaupt äußere Kennzeichen prähistorischer Fundplätze ganz, und es mußte zunächst dem Zufall überlassen bleiben, ob gelegentlich militärischer Arbeiten ein aufmerksames Auge prähistorische Spuren bemerkte. Das ist dann erfreulicherweise geschehen, und ich konnte bei meinem zweiten Aufenthalt auf eine an mich gelangte Meldung hin den ersten prähistorischen Fundplatz, Gräber der Hallstattzeit, in der Gegend von Dedeli, nördlich vom Doiransee, genauer untersuchen und, von den Findern in verständnisvoller Weise unterstützt, für sachgemäße Behandlung der Funde Sorge tragen. Seitens des Oberkommandos wurden energische Weisungen bezüglich des Schutzes derartiger Funde erlassen. Als damit erst einmal die Aufmerksamkeit auf diese Dinge gelenkt war, wurden mir auch von anderen Stellen ähnliche Funde gemeldet. Auch bulgarischerseits wurden die Dinge beachtet, und das Nationalmuseum in Sofia erwarb eine Anzahl Gelegenheitsfunde gleicher Art vom Doiransee. Sie gliedern sich an die gleichzeitigen Funde Bosniens an, zeigen aber in der Keramik Beziehungen zur Mittelmeerkultur. Ins Nationalmuseum in Sofia soll auch ein nach meinem Aufenthalt gemachter Grabfund aus der Gegend des Ochridasees gekommen sein.
Funde griechisch-mazedonischer Zeit sind mir während meines Aufenthalts, abgesehen von einigen Münzen, nicht zu Gesicht gekommen, ein Beweis dafür, wie abgelegen und unberührt von der Mittelmeerkultur auch im Altertum das Hinterland Mazedoniens war. Erst die römische Zeit bringt einen Wechsel. Militärisch war die Verbindung von Thessalonike zur Donau und nach Mitteleuropa damals natürlich genau so wichtig wie heute. Zwei der wichtigsten Heerstraßen, die Via Egnatia, der Weg von Rom nach Konstantinopel, und die Straße Thessalonike-Viminacium durchkreuzten sie (vgl. Miller, Itineraria Romana 1917). Dafür, daß erst die römische Kaiserzeit hierhin Kultur brachte, spricht das namentlich nach Norden zu immer stärkere Überwiegen der lateinischen gegenüber den griechischen Inschriften. Der militärische Charakter der Kultur, der auch darin begründet ist, daß hier eines der Hauptrekrutierungsgebiete des römischen Heeres lag, zeigt sich in dem häufigen Vorkommen von Soldaten und Veteranen in den Inschriften.
161
Abb. St. Clemenskirche zu
Ochrida
Wie in anderen Ländern bilden auch in Mazedonien die Dorfkirchen natürliche und verhältnismäßig sichere Sammelstellen der in der Umgegend gefundenen Inschriftsteine, Grabsteine und Skulpturreste. Mit Dank darf ich hervorheben, daß ich von allen Seiten, namentlich von Offizieren, auf solche Stellen wie auch auf einzelne verstreute Denkmäler aufmerksam gemacht wurde, als erst einmal nach Bildung der landeskundlichen Kommission weiteren Kreisen bekannt geworden war, wohin solche Meldungen gerichtet werden konnten. Mit gutem Beispiel ging General von Scholtz selbst voran, dem die Kommission Nachricht über mehrere Inschriftsteine in der Umgebung Ueskübs verdankt. Wichtiger noch war, daß uns Mitteilungen über Zufallsfunde gelegentlich militärischer Arbeiten, mehrfach von photographischen Aufnahmen begleitet, gesandt wurden, wichtig namentlich deshalb, weil es oft ausgeschlossen war, solche Einzelstücke zu schützen oder an einen sicheren Ort schaffen zu lassen, und daher diese Notizen und Aufnahmen bisweilen das einzige sind, was von den Funden geblieben ist, und wodurch sie wenigstens der Wissenschaft erhalten worden sind. So verdanke ich Dr. Buschor und Pfarrer Hald, welch letzterer sich überhaupt in weitgehendstem Maße der römischen Funde im südlichen Wardargebiet annahm, Nachrichten über Gräber römischer Zeit wie auch Aufnahmen und Beschreibungen mehrerer Grabsteine, die gelegentlich des Heerstraßenbaues durch das Eiserne Tor bei Demir-kapu gefunden waren. Als ich die Stelle besuchte, wurde mir von dem bulgarischen Ortskommandanten mitgeteilt, daß der ansehnlichste der Steine sich in Sofia befinde. Von dem Verbleib der übrigen wußte man nichts, so daß die Aufnahmen (die eine davon Abb. S. 156) das einzige Gebliebene sind. Ähnlich war es einer Anzahl Relief- und Architekturresten gegangen, die von einer bayerischen Eisenbahn-Kompagnie zwischen Prilep und dem Babunapaß gesehen und photographiert wurden (Abb. S. 156). Auch sie waren, als ich den Ort besuchte, in dem dortigen bulgarischen Lager nicht mehr zu finden und sind wohl zugrunde gegangen. So mag es noch manchem der vereinzelten Steine ergangen sein, der von uns oder anderen notiert wurde, namentlich wenn er sich in der Nähe eines Truppenlagers befand.
Nur eine planmäßige größere Grabung ist
während der Zeit der militärischen Besetzung unternommen worden. Im Gebiete der
antiken Stadt Stobi hatten deutsche Offiziere von dem wichtigen Etappenort
Gradsko aus Forschungen begonnen. Sie führten zur Entdeckung von drei
Basiliken,
162
Abb. Marmorschranken aus der
Klosterkirche in Nerezi
deren eine, außerhalb der antiken Stadt in der Nähe von Palikura gelegen, fast ganz freigelegt, aufgeräumt und, infolge des lebhaften Interesses, das auch der Oberbefehlshaber, General-Feldmarschall von Mackensen, der Arbeit entgegenbrachte, soweit das unter solchen Verhältnissen möglich war, gegen Beschädigungen geschützt wurde. Die Fortsetzung der gleichfalls begonnenen Freilegung der beiden anderen Kirchen, die in der antiken Stadt gelegen sind, wurde von den bulgarischen militärischen Stellen gehindert. Als ich im Sommer 1917 nach Stobi kam, ergab sich mir, daß die auf halbem Wege steckengebliebene Arbeit kein wissenschaftliches Ergebnis zeitigen konnte, dagegen bei der unmittelbaren Nähe des großen Etappenortes die aufgedeckten Reste sicherer Zerstörung aussetzte, ehe sie wissenschaftlich verwertet werden konnten. Auf meine Verwendung bei Herrn Professor Filow fand sich die Direktion des Nationalmuseums in Sofia bereit, die Erlaubnis zur Aufdeckung bei den bulgarischen militärischen Stellen zu erwirken und diese zu vollenden, wozu die Landeskundliche Kommission Dr. Krischen zur Verfügung stellen konnte. Herr Krischen hat dann 1918, nachdem er zuvor schon die in der deutschen Etappenkommandantur aufbewahrten Fundstücke genau bearbeitet hatte, mit Unterstützung der bulgarischen Kommandantur in Gradsko, die eine Anzahl Soldaten zur Verfügung stellte, zunächst die große Begräbniskirche freigelegt, die wohl noch dem fünften Jahrhundert angehört. Die eingeschossige Basilika hatte einen prächtigen Mosaikboden, einen geometrisch geteilten und bis auf einige Felder mit Tierdarstellungen auch geometrisch geschmückten Teppich. Bei seinem ungünstigen Erhaltungszustande war an ein Fortschaffen oder an dauernde Erhaltung leider nicht zu denken. Doch sorgte militärische Bewachung für einstweiligen Schutz,
163
Abb. Klosterkirche zu Nagoriča Abb. Klosterkirche St. Marko bei Uesküb
Abb. Kloster Treskavec, 1229
m hoch gelegen
bis eine genaue Aufnahme in großem Maßstab
fertiggestellt war. Dann wurde in der großen Basilika inmitten der Stadt, die
wohl zweigeschossig war wie S. Demetrius in Saloniki, weitergegraben und dort
eine Fülle von Trümmern sehr schöner Marmorschranken mit durchbrochener Arbeit, Brocken von Stuckornamentik und Freskomalereien, Glasmosaiken und namentlich
das oben S. 159 abgebildete prachtvolle Kapitell entdeckt. Alle diese fanden
einstweilen in der deutschen Etappenkammandantur Gradsko Unterkunft, so daß
hier allmählich ein kleines Museum entstand. Leider sind die zum Teil recht
wertvollen Gegenstände dort vergebens geborgen worden und wahrscheinlich in der
allgemeinen Katastrophe mit untergegangen.
Die Basiliken von Stobi leiten bereits zur byzantinischen Zeit hinüber. Ein besonders wichtiges Bauwerk aus der nachantiken Periode, der großartige Kuppelbau, von dem die Ruinen bei Philippi noch hoch aufragen, den Strzygowski als eine Kirche angesprochen hat, sollte im Einvernehmen mit der Leitung des bulgarischen Nationalmuseums durch eine wissenschaftlich exakte Grabung gründlich untersucht werden - der Zusammenbruch der Front hat diese Arbeit nicht mehr erlaubt.
Ein besonders reiches Material boten der kunstgeschichtlichen
Forschung die zahlreichen Kirchen und Klosterbauten, die den späteren
byzantinischen Typus vertreten. Der Weg führt von den Basiliken von Stobi über
den noch in vielem rätselhaften Bau von Philippi nach Ochrida, wo sowohl für
den Basilikalbau wie für die Zentralanlage die eigentlichen Typen ausgebildet
werden. In den frühen Kirchenbauten von Varos findet das einfache
Basilikenschema eine Weiterbildung, über das ganze Land aber breiten sich seit
dem n. Jahrhundert die Klosteranlagen aus, die sich um eine im Anfang einfache,
später immer reicher organisierte Kuppelkirche gruppieren. Die lange Reihe der
Bauten gibt durch fast ein Jahrtausend hindurch eine zusammenhängende
Entwicklung. Unsere Arbeit
164
durfte sich diesem Gebiet um so intensiver
zuwenden, je weniger ansehnliche Monumente des Altertums den Archäologen und
Architekten fesselten. Dazu kam die teilweise ausgezeichnete und vollständige
Erhaltung der Malereien dieser Kirchen, die auch bei den älteren unter ihnen
zum Teil noch bis in die Zeit der Erbauung zurückreichen. Paul Clemen hat
während zweier Aufenthalte die bedeutenderen Kirchen des Landes zusammen mit
Fritz Krischen und Hans Schmidt-Annaberg aufgesucht und studiert, im Jahre 1917
außerdem begleitet von Dr. Ludwig von Bürkel. Auf Grund hierbei stattfindender
Verabredungen wurde dann eine Auswahl dieser Kirchen von den beiden Architekten
genauer aufgenommen und Vorbereitungen zu einer umfassenden Veröffentlichung
getroffen, die hoffentlich in absehbarer Zeit erscheinen kann.
Ochrida,
das die slawische Welt als den Ausgangspunkt der slawischen Zivilisation auf
dem Balkan ansieht, war seit dem 9. Jahrhundert das Zentrum der bulgarischen
Kirche. Der hl. Clemens von Ochrida, der Schüler der hh. Cyrillus und
Methodius, hatte hier im 9. Jahrhundert die erste Kirche begründet. Vielleicht
gehen die Anfänge der ehrwürdigen Sofienkirche noch auf ihn zurück (1).
Der Bau ist dann im zweiten Viertel des 9. Jahrhunderts durch den Erzbischof
Leo erweitert oder neu aufgeführt worden als eine dreischiffige Basilika mit
westlichem Narthex, in den Jahren 1313-14 ist diesem noch ein zweiter
zweigeschossiger, von zwei Türmen flankierter Narthex vorgesetzt worden, der
sich mit seiner Prachtfassade als eine der Glanzleistungen der spätromanischen
Architektur auf dem Balkan erweist. Diese Kirche, einst der Sitz des
bulgarischen Patriarchats von Ochrida, dem mehr als dreißig Bischöfe
unterstellt waren, war unter der türkischen und der serbischen Herrschaft auf
das Äußerste vernachlässigt worden, die Türen und Fenster fehlten, der Bau war der Tummelplatz der Straßenjugend. Deutscher Anregung ist es zu danken, daß die Kirche zunächst gesperrt und dann respektvoller behandelt ward. Die bulgarische archäologische Kommission, auf den gefahrdrohenden Zustand des Bauwerks
hingewiesen, veranlaßte dann im Jahre 1917 die Aufführung von Strebepfeilern
auf der Südseite. In der Folge hat dann namentlich der Architekt Schmidt-Annaberg
sich eingehend mit der Kirche beschäftigt und durch eine genaue Untersuchung
ihre Baugeschichte aufzuhellen gesucht. Auf Grund seiner Feststellungen
unterbreitete er der Direktion des bulgarischen
1) Die mittelalterlichen
Baudenkmäler dieser Gruppe waren bislang fast ausschließlich nur von den
russischen Gelehrten behandelt worden. Miljukow hatte während seines langen
Aufenthaltes in Sofia zuerst das Land durchwandert und seine Bauten
beschrieben. Vgl. P. N. Miljukow, Christianskija drevnosti zapadnoj Makedonii
(Christliche Altertümer Westmakedoniens): Mitteilungen des russischen
archäologischen Instituts in Constantinopel IV, 1899. - P. Pokryškin,
Pravoslavnaja cerkovnaja architektura XII-XVIII stoletij v nynešnem serbskom
Korolevstve (Die orthodoxe kirchliche Architektur im heutigen Serbien v.
12.-18. Jh.), St. Petersburg 1906. -N. P. Kondakow,
Makedonija. Archeologiceskoe putešestwije (Makedonien. Archäologische Reise). St.
Petersburg 1909. Während des Krieges erschien die zusammenfassende Arbeit von Gabriel
Millet, L'ecole grecque dans l'architecture byzantine: Bibliotheque de l'ecole
des hautes etudes XXVI, Paris 1916.
165
Nationalmuseums und der bulgarischen
archäologischen Kommission ein eingehendes Gutachten und Vorschläge zur
Sicherung des Baues. Von demselben Architekten rühren auch große Aufnahmen der
übrigen kirchlichen Baudenkmäler von Ochrida und der wichtigsten
mittelalterlichen Baudenkmäler in dem südmazedonischen Gebiet bis zum
Babuna-Paß her, während die Aufnahmen in dem nördlichen Mazedonien von Fritz
Krischen übernommen wurden. Zu jener ersten Gruppe gehören vor allem die
Kirchenbauten, die in dem alten Varos unweit Prilep in den Felsen am Abhang des
Zlatourh verstreut liegen, zum Teil schon zerstört oder raschem Untergang
entgegengehend, und das auf dem felsigen Rücken am Südabhang des
Babuna-Plateaus gelegene befestigte Kloster Treskavec, dessen Kirche den
romanischen
Typus mit den reich gegliederten, aber niedrigen Kuppeltürmen klar ausgebildet zeigt, wie ihn weiter südlich die Kirche St. Clemens in Ochrida uns vorführt.
Die größte Zahl dieser Klöster findet sich in den Bergen, die die Wardar-Ebene und insbesondere das Becken von Uesküb umschließen, auf den Bergrücken oder in den Waldschluchten versteckt, oft schwer zugänglich und halb vergessen, die meisten in der Zeit der Türkenherrschaft verfallen und verwahrlost, einige nur noch Ruinen, wie Ljuboten und Mateiko. Die früheste, die Kirche von Nerezi am Fuße des Wotno, stammt noch aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, die meisten gehören dem 14. Jahrhundert an und sind unter den beiden großen Serbenzaren Milutin und Stephan Duschan entstanden, der damals für kurze Zeit die serbische Herrschaft über das ganze südliche Mazedonien ausdehnte. Durch Inschriften, daneben aber auch durch große Porträts des Erbauers sind sie zeitlich festgelegt. Hier bringt einer der spätesten Bauten, das 1344 entstandene Markow-Kloster bei Uesküb, noch einmal den älteren Bautypus. Die beiden nördlichsten Denkmäler dieser Gruppe, die stattlichen und reichgegliederten Kirchen zu Nagorica bei Kumanowo und von Gracanica bei Priština, beides Schöpfungen des Zaren Milutin, weisen in ihrem ganzen Raumgefühl schon auf die enge Verwandtschaft mit der Gotik hin, wenn sie sich auch noch der romanischen Detailbehandlung bedienen. Ganz gotisch und dem Stile der norditalienischen Trecentomalereien sich nähernd erscheint der reiche Freskenschmuck, mit dem das Innere all dieser Kirchen bekleidet ist.
Die kunstgeschichtliche Bedeutung dieser
Bauten liegt vor allem darin, daß sie in ihrer Folge einen Festlandsweg zeigen,
den die byzantinisierende Kunst von Byzanz und vom Berg Athos aus in
nordwestlicher Richtung nach Venedig einschlägt. Die Verwandtschaft mit den
Denkmälern jener klösterlichen Kunst vom Berge Athos ist offensichtlich, und
doch erscheint es als allzu einfach, wenn Gabriel Millet jene Kirchen alle als
einer "griechischen Schule" angehörig bezeichnet. Man darf der
griechischen Gruppe gegenüber wohl von einem Balkanstil reden, der diese ganze
Denkmälerwelt bis nach Bulgarien und Serbien hinein angehört. Die Fortsetzung
im Norden bilden die berühmten Klosterbauten in Altserbien, Studenica und Zica,
die beide um die Wende des 12. Jahrhunderts ent-
167
standen sind, und die späteren Ravanica,
Kalenic, Rudenica bis zu dem Prachtbau von Manassia, das schon dem Anfang des
15. Jahrhunderts angehört (2).
Um die Erforschung jener mazedonischen Gruppe
haben sich die deutschen Gelehrten durch zwei Jahre bemüht, bis ihrer Arbeit
durch den Zusammenbruch der bulgarischen Front ein Ziel gesetzt ward. Fritz
Krischen hat die Baudenkmäler in Nordmazedonien in aufopfernder monatelanger
Arbeit aufgenommen, soweit sie uns zugänglich waren, bei einigen als Typen
besonders wichtigen Bauten hat er auch alle Einzelheiten der Ausstattung und
selbst das Mobiliar, dazu das ganze System der Bemalung festgehalten, wobei ihn
der Maler Hans Brass unterstützte, auch die Kirchen zu Nagorica, Mateiko,
Ljuboten sind von ihm eingehend festgehalten worden.
Hat auch der weitausschauende Plan einer
vollständigen und erschöpfenden Bearbeitung und Aufnahme aller Baudenkmäler
nicht durchgeführt werden können, so glauben wir doch gerade auf dem zuletzt
genannten Gebiete, unterstützt durch unsere Heeresleitung, aber auch durch die
bulgarischen Behörden wie die mazedonische und türkische Bevölkerung, wie wir
dankbar hervorheben wollen, nützliche Arbeit getan zu haben und ein wertvolles
Material der Wissenschaft zuzuführen, das die Arbeiten der berufenen
einheimischen Forscher, der Bulgaren und Serben, wie der fremden Gelehrten, die
sich hier betätigt haben, der Russen und der Franzosen zu ergänzen berufen ist.
2) Über die serbischen Bauten orientieren die älteren Arbeiten von
Kanitz, Bals, Nikolajewitsch, vor allem aber die schon genannte
Veröffentlichung von Pokryskin. Vgl. weiter den Bericht von Paul Buberl in dem
vorliegenden Sammelwerk.